Platzt irgendwann die Goodwill-Blase?

In Bilanzen vieler Unternehmen sei viel Luft, sagt Professor Leibfried. Der Grund: Sie kaufen andere Firmen und bezahlen oft weit mehr, als diese effektiv wert sind. Die Spanne zwischen realem Wert und bezahltem Preis heisst Goodwill, und der bläht die Bilanzen auf. Das ist ein Problem.

Tastatur und Maus, zwei Männer die gestikulieren, auf dem Pult diverse Adecco-Unterlagen. Bild in Lightbox öffnen.

Bildlegende: Adecco hat noch lange teuer für ihre Übernahmen bezahlt – und ist damit in guter Gesellschaft. Keystone

Auf Französisch ist es viel treffender: Den Mehrpreis, den eine Firma bei der Übernahme einer anderen zahlt, heisst dort «perte de fusion», zu Deutsch: Fusionsverlust. Verlust deshalb, weil bei Übernahmen häufig ganz bewusst zu viel bezahlt wird, um die begehrte Firma auch übernehmen zu können.

In Englisch nennt man diesen Verlust hingegen verschleiernd «Goodwill». Peter Leibfried, Professor für Audit und Accounting an der Universität St. Gallen erklärt: «Der Goodwill ist eine Zukunftshoffnung. Man bezahlt, weil man auf Synergien nach dem Kauf hofft. Aber das muss sich in den nächsten Jahren erst bewahrheiten.»

Credit Suisse, Swisscom und Adecco als Beispiele

Dass bei Firmenübernahmen häufig zu viel hingeblättert wird, dafür stehen unter anderem die Grossbank Credit Suisse (CS), die Swisscom oder der Personalvermittler Adecco. Sie alle mussten für zu teure Investitionen in vermeintliche Perlen hohe Abschreibungen vornehmen. Bei der CS war es die 20 Milliarden teure Übernahme einer US-Investmentbank vor über 15 Jahren.

Das Problem mit den Goodwill-Blasen

3:36 min, aus Echo der Zeit vom 29.03.2016

Erst kürzlich schrieb die CS mehrere Milliarden darauf ab. Bei der Swisscom war die heissbegehrte Braut die italienische Fastweb, die entgegen der Hoffnungen des Managements doch nicht so abhob. Und bei Adecco waren es verschiedene Übernahmen in den sogenannten Hoffnungsmärkten.

Blase hat sich in den letzten zehn Jahren gebildet

Profossor Leibfried und sein Team haben errechnet: 2014 schlummerte in den Bilanzen von Schweizer Unternehmen ein Goodwill von fast 130 Milliarden Franken, Tendenz steigend. Man könne durchaus von einer Blase sprechen, sagt er.

«Wir haben nach den internationalen Rechnungslegungsstandards seit nunmehr gut zehn Jahren keine planmässige – also jährliche – Abschreibung mehr auf die Firmenwerte und damit auf die Goodwills.» Der Grund dafür: Viele Unternehmen wenden für ihre Rechnungslegung internationale oder US-Standards an. Das ist völlig legal. Im Gegensatz zu den Schweizer Vorschriften muss dort aber der Goodwill nicht abgeschrieben werden. Im Gegenteil: Solange eine Firma ihre Strategie beibehält, bleibt auch der Goodwill praktisch unverändert in den Büchern.

Bereinigung meist erst bei einem Chefwechsel

Die Forscher um Leibfried haben herausgefunden, dass die grossen Abschreiber auf den Goodwill nicht dann gemacht werden, wenn sie angezeigt wären, sondern häufig erst beim Wechsel des Managements: «Man muss sich die Situation vorstellen: Das Management hat etwas gekauft, hat die Preisverhandlungen geführt.» In den Jahren danach müsse es dann jeweils selbst beurteilen, ob es damals zu viel bezahlt hat. «Da ist relativ klar, dass man sich schwertut.»

Leibfried plädiert deshalb für eine Rückkehr zum alten System, das die sukzessive Abschreibung des Goodwills zwingend vorschreibt. Denn die aufgeblasenen Bilanzen können durchaus ein Problem sein. «Je professioneller die Anleger sind, umso eher haben sie ein Gefühl, dass es dort ein Problem gibt. Vielfach wird in der Unternehmensanalyse der Goodwill auch tatsächlich rausgestrichen», so Leibfried.

Doch das Herausrechnen des Goodwills ist nicht so einfach. Privatanleger dürften schnell einmal überfordert sein – und dann prompt viel Geld verlieren, wenn die Firma plötzlich ihren Abschreiber macht und die Aktie an der Börse abtaucht.