Enabling Services - Spezifikation plattformbasierter Vorleistungen in der Telekommunikation
Journal
LNI
ISBN
978-3-88579-248-2
Type
conference paper
Date Issued
2009-10-02
Author(s)
Editor(s)
Abramowicz, Witold
Abstract (De)
Die technologiegetriebene Konvergenz der Branchen Informationstechnologie, Telekommunikation und Medien hat die Entwicklung von Wertschöpfungsstrukturen und Geschäftsmodellen zur Produktion von ICT- Dienstleistungen stark beeinflusst. Ehemals vertikal integrierte Telekommunikationsnetzbetreiber sind nun als Zulieferer anderer ICT- Dienstleister mit der Herausforderung konfrontiert, Produkte auf der Vorleistungsebene zu vermarkten. Hierbei können die aus dem IT-Bereich und der Dienstleistungsforschung bekannten modularen Servicekonzepte zum Einsatz kommen: Auf Service Delivery Plattformen werden ICT-Dienstleistungsmodule, so genannte Enabling Services, zur Entwicklungsunterstützung bereitgestellt. In dieser Arbeit wird eine Enabling Service Konzeptualisierung entwickelt und mit Hilfe einer Fallstudie eine Vorgehensweise zur Spezifikation von Enabling Services vorgestellt. Technologieinnovationen wie die Entwicklung von breitbandigen All-IP-Netzen und Multi-Access Endgeräten haben in den letzten Jahren das Verschmelzen der Branchen Telekommunikation, Informationstechnologie und Medien zur ICT-Branche bewirkt. Dies wird mit dem Schlagwort Konvergenz beschrieben [Ze01]. Aufgrund der Entwicklung neuer ICT-Dienstleistungsgeschäftsmodelle und des Auftretens neuer endkundenorientierter Service Provider nehmen Telekommunikationsnetzbetreiber vermehrt die Rolle von Vorleistern ein [LW02]. Unabhängige Dienstleister entwickeln auf Basis einer standardisierten Infrastruktur, zumeist sind dies von Telekommunikationsnetzbetreibern bereitgestellte IP Netzwerke, eigene Dienstleistungen. Diese werden deshalb auch als \?Over-the-top' Dienste bezeichnet [He07]. Mit der Entwicklung neuartiger Produkte, so genannter Enabling Services, versuchen Telekommunikationsnetzbetreiber, attraktive Vorleistungen für diese ICT- Dienstleister zu identifizieren und bereitzustellen [SR08]. Über die Bedeutung von Enabling Services gibt es bis heute keinen Konsens, ebenso wenig existieren Vorgaben und Methoden zu deren Entwicklung. Als Beispiel kann hier Fernsehen über das Internet angeführt werden: Über Jahrzehnte hinweg kontrollierten Netzbetreiber Fernsehdienste über große Teile der Wertschöpfung hinweg (d.h. vom Netzbetrieb bis zum Endkundenvertrieb). Heute gelingt es so genannten Internet-TV Anbietern, wie zum Beispiel Zattoo, Joost oder Babelgum, vermehrt Kunden zu gewinnen. Diese ICT-Dienstleister beziehen als Vorleistung lediglich die Anbindung ihrer Server an das IP Netzwerk und setzten auf Endkundenseite ebenfalls einen Breitbandanschluss an das IP Netz voraus. Ohne den kostenaufwendigen Netzbetrieb können sie Fernsehdienste, meist auf Grundlage werbefinanzierter Geschäftsmodelle, anbieten. Telekommunikationsnetzbetreiber können für Internet-TV- Anbieter die Verbreitung und den Qualitätstransport ihrer Inhalte als Enabling Service übernehmen: Um den Transport datenintensiver Inhalte über IP Netze zu ermöglichen, müssen Netzbetreiber durch Aufbau von Servernetzwerken, Routenoptimierung oder Netzkapazitätsausbau die notwendigen Grundlagen schaffen und den Qualitätstransport als Vorleistung (Enabling Service) vermarkten. Gleichzeitig wird die Industrialisierung der IT-Branche vorangetrieben [WBK07], [Za07]: Es werden Systeme und Methoden entwickelt, IT-Dienstleistungen kundenorientiert auszurichten und dabei eine kosteneffiziente Produktion zu gewährleisten, indem ein hoher Grad an Arbeitsteilung und Automatisierung basierend auf standardisierten Produktionsverfahren angestrebt wird. Technologieseitig wird dies durch Systeme und Architekturkonzepte wie beispielsweise Virtualisierungstechnologien und Serviceorientierte Architekturen unterstützt, die eine Entwicklung kundenangepasster Produkte basierend auf standardisierten und vorkonfigurierten Modulen ermöglichen. Auch bei der Entwicklung von Enabling Services sind Telekommunikationsnetzbetreiber mit der Herausforderung konfrontiert, kosteneffizient zu produzieren und gleichzeitig ICT-Dienstleistern die Entwicklung von kundenangepassten Diensten zu ermöglichen. In dieser Arbeit werden deshalb Konzepte des IT-Dienstleistungsmanagements verwendet, um eine Konzeptualisierung von Enabling Services zu erarbeiten sowie eine Herangehensweise zur Spezifikation von Enabling Services zu entwickeln. 2 Stand der Forschung und Aufbau Unter der Bezeichnung Service Science, Management and Engineering (SSME) werden alle Forschungsaktivitäten zusammengefasst, die sich mit den spezifischen Eigenschaften von Dienstleistungen und den daraus ableitbaren Anforderungen und Methoden zur Gestaltung und zum Management von Dienstleistungen beschäftigen [Bhh08], [CS06]. Aufbauend auf konstitutiven Merkmalen von Dienstleistungen [Co01] werden in einigen Arbeiten Konzeptualisierungen von Dienstleistungen vorgestellt (z.B. [BS06]), die spezifische Eigenschaften in drei Gestaltungsdimensionen hervorheben: In der Potenzialdimension steht die Ausgestaltung der Produktionskapazitäten im Vordergrund. Die Prozessdimension adressiert die Gestaltung der Produktionsprozesse und im speziellen die Kundenintegration. Auf der Ergebnisdimension spielt die aufgrund des immateriellen Charakters der Dienstleistungen notwendige klare Definition gewünschter Qualitätsniveaus eine Hauptrolle. Auf Basis dieser Konzeptualisierungen entwickeln verschiedene Autoren Methoden und Verfahren zum Design von Dienstleistungen (Service Engineering) [Bö04], [EO96], [Ue06]. Zarnekow [ZA07] stellt die für die Kundenorientierung und Industrialisierung von IT-Dienstleistungen notwendigen IT-Managementaktivitäten dar. Böhmann [Bö04] entwickelt das Konzept modularer IT-Dienstleistungsarchitekturen, welches die Industrialisierung von IT- Dienstleistungen unterstützt. Auf Seiten der Telekommunikationsforschung thematisieren einige Arbeiten die konvergenzbedingte Veränderung der Branche [FR01][LW02]. Parallel beschäftigen sich viele Autoren mit der technologisch orientierten Ausgestaltung von Next- Generation-Networks und Telekommunikationsplattformen [IN04], [MBD07], [Mu06], [Pa07]. Die Identifikation von Anforderungen, die aus Unternehmens- und Marktsituationen entstehen und an die Ausgestaltung von Dienstleistungs- und Technologiearchitekturen gestellt werden sowie damit zusammenhängender Gestaltungsund Managementmethoden werden in der Telekommunikationsforschung bisher kaum adressiert und sind Gegenstand dieser Publikation. Im Folgenden wird basierend auf einem allgemeinen Verständnis von ICT- Dienstleistungen (Abschnitt 3) eine Konzeptualisierung plattformbasierter Vorleistungen in der Telekommunikation vorgestellt (Abschnitt 4). Anschließend wird eine Vorgehensmethode zur Spezifikation von Enabling Services präsentiert (Abschnitt 5) und im Rahmen einer Fallstudie angewandt (Abschnitt 6). Bevor ausführlich auf Vorleistungen von ICT-Dienstleistungen und deren Spezifikation eingegangen wird, soll zunächst ein kurzer Überblick über die grundsätzlichen Gestaltungsebenen von ICT-Dienstleistungen gegeben werden. Produktmodell Prozessmodell Ressourcenmodell Abbildung 3.1: Modell zur Beschreibung von ICT-Dienstleistungen Wie in Abbildung 3.1 dargestellt, unterscheidet man bei der Modellierung von ICT- Dienstleistungen die folgenden Ebenen (vgl. [SGK06], [BS06]): das Produktmodell, das Prozessmodell und das Ressourcenmodell. Auf Ebene des Produktmodells wird das Dienstleistungsangebot an den Kunden beschrieben. Für jedes Produkt eines ICT- Dienstleisters werden alle charakteristischen Merkmale, insbesondere die Leistungsmerkmale und Zielgruppen, abgebildet. ICT-Dienstleistungen können sowohl Privatkunden adressieren, beispielsweise Sprachdienste wie die Mobiltelefonie, als auch Geschäftsprozesse von Unternehmenskunden unterstützen, zum Beispiel die Durchführung der Lohnund Gehaltsabrechnung als Dienstleistung. Auf Prozessmodellebene wird beschrieben, welche Aktivitäten zur Produktion der Dienstleistung notwendig sind. Dies betrifft sowohl die unternehmensinternen Aktivitäten als auch Interaktionen mit Kunden. Auf Ebene des Ressourcenmodells wird dargestellt, wie ICT-Produktionsanlagen (Netzwerke, Server, Datenspeicher etc.) eingesetzt werden. Zu den hierzu notwendigen ICT-Leistungen gehören die Bereitstellung von Hardware Ressourcen, der Betrieb von Anwendungsprogrammen sowie die darauf aufbauende Abwicklung ICT-gestützter Transaktionen für den Anwender. So ist beispielsweise für die Transaktion \?Standortdaten übermitteln' der Betrieb von Datenbankanwendungen und -servern notwendig, um Standortdaten zu speichern und zu aktualisieren, sowie der Betrieb einer Netzwerkinfrastruktur, die eine Kommunikation zwischen Datenbank und Endgeräten ermöglicht. Um eine industrielle Produktion von ICT-Dienstleistungen zu ermöglichen, kann der Einsatz von Ressourcen mit Hilfe von modularen Servicearchitekturen und Plattformen organisiert werden [Bö04], [WBK07]. Hierzu werden ICT-Leistungen als Module angeboten. Plattformen gewähren über wohl definierte Schnittstellen Zugriff auf verteilte ICT-Produktionssysteme und koordinieren die Erbringung von ICT-Leistungen zur Laufzeit. Auch für Telekommunikationsnetzarchitekturen wurde mit der Service Delivery Platform (SDP) ein solches modulares Konzept eingeführt. Obwohl SDPs in der Telekommunikationswirtschaft bereits entwickelt und genutzt werden (siehe Tabelle 5.1), gibt es noch keine allgemein anerkannte Konzeptualisierung.1 Aus den vorhandenen Arbeiten über SDPs (z.B. [PA07], [Mu06]) sind jedoch einige zentrale Charakteristiken von SDPs entnehmbar: SDPs sind IT-Plattformen; es handelt sich um Softwareanwendungen, die über klar definierte Schnittstellen aufrufbar sind und auf einer Hardwareumgebung aufsetzen. Darüber hinaus stellen SDPs Funktionalitäten zur Entwicklungsunterstützung (beispielsweise zum Auffinden von Modulen), zur Ausführungsunterstützung (Koordinationsfunktionalitäten zur Laufzeit) sowie zur Servicemanagementunterstützung (beispielsweise Abrechungsfunktionalitäten) bereit. Module auf SDPs sollen netzwerkagnostisch sein: Sie müssen auf verschiedenen physischen Netzwerken und Softwareimplementierungen operieren können und abhängig vom spezifischen Anwendungskontext des Endnutzers (z.B. Endgerät und Zugangsnetz) von geeigneten Netzwerkfunktionalitäten Gebrauch machen. Demgegenüber sollen Module vom ICT-Dienstleistungsentwickler über eine einzige standardisierte Schnittstelle aufrufbar sein. Für den Rahmen dieser Arbeit werden SDPs folgendermaßen definiert: Service Delivery Platformen (SDP) sind IT-Umgebungen, die die Entwicklung, die Bereitstellung und das Management von Telekommunikationsdienstleistungen unterstützen und über vorkonfigurierte Module netzwerkagnostische Funktionalitäten bereitstellen. Aus der oben vorgestellten Definition von ICT-Dienstleistungen und von SDPs lässt sich ein allgemeines Verständnis von Modulen in SDPs ableiten, das hier unter dem Konzept der Enabling Services zusammengefasst wird: Enabling Services sind wohldefinierte Softwaremodule und über eine Service Delivery Plattform aufrufbar. Als Vorleistungen kapseln sie ICT-Leistungen zur Unterstützung des Produktionsprozesses von ICT- Dienstleistungen. Ihre Bereitstellung soll ICT-Dienstleistern die Dienstleistungsentwicklung und -erbringung erleichtern. Durch die Bezeichnung als Enabling Services soll ihre wirtschaftliche Bedeutung hervorgehoben werden: sie gelten als \?Enabler' von ICT-Dienstleistungen, die auf der Vorleistungsebene offeriert werden. Beispielsweise können die Ortskoordinaten des Aufenthaltsortes einer Person durch einen Enabling Service übermittelt werden. Diese Vorleistung ermöglicht die Entwicklung von standortgebundenen Diensten (z.B. Navigationsdienste).
Language
German
HSG Classification
contribution to scientific community
Refereed
Yes
Book title
Informatik 2009: Im Focus das Leben, Beiträge der 39. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI)
Publisher
Ges. für Informatik
Publisher place
Bonn
Volume
154
Start page
2634
End page
2647
Event Title
39. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) ; 2nd Workshop on Services, Platforms, Innovations and Research for new Infrastructures in Telecommunications (SPIRIT 2009)
Event Location
Lübeck
Event Date
28.09.-02.10.2009
Subject(s)
Division(s)
Eprints ID
226692