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After Pop? Einführung
Type
conference lecture
Date Issued
2016-04-14
Author(s)
Abstract (De)
Die Populärkultur ist das Fluidum der Medienmassen der Moderne, die mit der Digitalisierung nochmals einen Impuls in die doppelte Richtung der Individualisierung (Mass Customization, Profiling) und Totalisierung (Social Networks, Big Data) erhalten hat. Weltweit bekannte Marken wie Apple könnten ohne die Aura des Einzigartigen, die zugleich käuflich ist – der Doppelcharakter der Kunst, der Sexualität und auch des Pop – niemals einen so durchschlagenden Erfolg haben. Die neuen Massen einer Erlebniskultur und ihr oftmals volatiler Ge-schmack (Stichwort: Moden) sind ein zentraler Faktor für die Wirtschaft und für das Verständnis gesellschaftlicher Dynamiken (geworden), und das nicht erst mit dem Internet, son-dern mit der Genese der Moderne und intensiver seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gelangt dabei in der Diskussion über Massengesellschaft und Populärkultur der Begriff „Pop“ zu Prominenz. So rasch das Wörtchen ausgesprochen oder hingeschrieben werden kann, so groß lange Zeit seine Wirkung. Komposita wie Popmusik, Popstar, Pop-Art und Popkultur zeigten ebenfalls zuverlässig die Faszination des Phänomens an. Die beiden letzten Begriffe standen zudem dafür ein, dass Pop andere Meriten erlangen konnte, als allein aufgrund weiter Verbreitung und wirtschaftlicher Profite in der kulturellen Sphäre üblicherweise zu erzielen sind.
Zweifellos ist das ein Erfolg all jener, die seit den 1950er Jahren für eine kulturelle Anerkennung von Pop gestritten haben. Ein großer Teil des allgemeinen Redens über Pop bestand genau darin, diese Anerkennung zu betreiben und zu begründen. Das geschah auf zwei Arten und Weisen: Erstens indem man dekretierte, dass Flüchtigkeit, Oberflächlichkeit, Eingängigkeit, Künstlichkeit positive (und nicht, wie zuvor üblicherweise angenommen, negative) Eigenschaften seien. Die Umwertung war nicht selten mit dem typisch modernen Argument verbunden, Pop sei zeitgemäß: Die platonische Kunstauffassung sei veraltet, an ihre Stelle müsse in der schnelllebigen Gegenwart eine Ästhetik des Flüchtigen treten; die Abwertung des Äußerlichen zugunsten des Wesens oder innerlicher Tiefe sei einer nachmetaphysischen, unchristlichen Zeit unangemessen, etc.
Die zweite Verteidigung oder gar Affirmation von Pop setzte wissenschaftlicher an, in empirischen Studien wie in theoretischen Grundsatzdebatten. Hier ging es vor allem um den Nach-weis, dass Pop-Phänomene nicht bloß (oder sogar wenig) zur Passivität, Verrohung, Verdummung, Stereotypenbildung, Standardisierung beitragen. Von liberalen Systemtheoretikern und Rezeptionsästheten über wohlmeinende Pädagogen bis hin zu sozialistischen oder radikaldemokratischen Vertretern der Cultural Studies haben sich viele Richtungen dabei hervorgetan.
Den Erfolg dieser Bemühungen haben aber längst nicht alle derjenigen, die ihn angestrebt ha-ben, schätzen gelernt. Pop ist ein Ausdruck, der längst nicht mehr so häufig und vor allem mit so positivem Ton gebraucht wird wie noch in den 1990er Jahren. Gerade jene Publizisten, Studenten, Akademiker, die vermeintlich subversive oder gesellschaftskritische Absichten he-gen, sind heute eher geneigt, experimentelle Künstler mit ihren Hoffnungen auszustatten und nicht hedonistische Popstars.
Aber auch im größeren Feld der Kultur und des Journalismus kann man eine ähnliche Zurück-haltung beim Begriffsgebrauch beobachten, wenn auch hier ohne die kritische Spitze. Obwohl bestimmte Pop-Phänomene inzwischen zum prägenden Bestandteil des Geschmackshaushalts fast aller Kulturinteressierten mit Universitätsabschluss gehören, hat das Pop-Wort seinen guten Klang, seinen ›Hip‹-Status unter ihnen merklich verloren.
Dafür gibt es zwei nachvollziehbare Gründe:
- Ähnlich wie im Jazz seit Ende der 1960er Jahre sind in der Popmusik nach Hip-Hop und Techno die Möglichkeiten einschneidender Neuerungen erschöpft, übrig bleiben auf der Seite der Innovation stilistische Verfeinerungen (u.a. dank technologischer Weiterentwicklungen) und vor allem Genre-Neukombinationen; Gleiches gilt für Pop-Art und Popliteratur. Die Klage über eine postmoderne Erschöpfung der Bestände ge-hört darum zum festen Bestandteil heutiger feuilletonistischer Pop-Kritik.
- die linke bzw. radikaldemokratische Auffassung, die Pop als Ausdruck oder Werkzeug von Subkulturen ansieht, die zwar nicht politisch organisiert sind, aber durch ihren He-donismus und ihre eigenständige Aneignung kulturindustrieller Erzeugnisse der herr-schenden Ordnung alltäglichen Widerstand entgegensetzen, hat angesichts der Offen-heit liberal-westlicher Gesellschaften viel an Überzeugungskraft verloren. Die Subversions-Hoffnungen der ‚cultural left‘ haben sich darum oftmals verkehrt, nun dominiert (wieder) die ältere Kulturindustrie-Kritik und eine neuere Kritik am flexiblen Differenz-Kapitalismus.
Die geplante Tagung möchte sich diese Einschätzungen zunutze machen – nicht um sie zu re-produzieren oder in jedem Fall zu widerlegen bzw. zu bestätigen, sondern um mit ihnen als Anregung die gegenwärtige Situation zu beleuchten. Auch unabhängig von den ästhetischen und politischen Werturteilen stellt sich die Frage, ob sich innerhalb der Popkultur in den letzten vier Jahrzehnten und vor allem seit der flächendeckenden Durchsetzung des Internets und der sozialen Netzwerke tiefgreifende Änderungen vollzogen haben, die von einem Ende des Pop-Paradigmas künden.
Zwei Untersuchungsrichtungen sollen darum eingeschlagen werden:
- erstens soll teils rekonstruiert, teils neu gefasst werden, was sinnvollerweise unter ‚Pop‘ (in Abgrenzung zu ‚Populär‘- und ‚Massenkultur‘) verstanden worden ist oder noch immer werden könnte;
- zweitens sollen in den Bereichen der Kulturindustrie, der Mode und der Kunst durch grundlegende Analysen historische Unterschiede vor allem zwischen der Popkultur der 1960/70er Jahre und gegenwärtigen Formationen, die sie modifiziert oder möglicher-weise hinter sich gelassen haben, herausgearbeitet werden.
Das Forschungsgespräch soll damit im Geiste des integrativen Ansatzes der HSG zur Klärung der aktuellen kulturellen Voraussetzungen des Wirtschaftens in einer globalisierten und ver-netzten Welt beitragen. Sowohl die Relevanz eines breiten Absatzmarktes/Kundenstamms als auch der nötige Distinktionsgewinn selbst bei Massenwaren stellen Anforderungen dar, die sich in der kulturellen Logik der Debatten um Pop spiegeln lassen. So können im Forschungs-gespräch zwischen den eingeladenen Gästen auch Perspektiven aufscheinen, die potenziell vernetzungsoffen für die Kernfächer und interessant für das breitere Publikum sind, das ja nicht zuletzt auch (mündiger) Kunde und (informierter) User ist (oder sein will/soll).
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gelangt dabei in der Diskussion über Massengesellschaft und Populärkultur der Begriff „Pop“ zu Prominenz. So rasch das Wörtchen ausgesprochen oder hingeschrieben werden kann, so groß lange Zeit seine Wirkung. Komposita wie Popmusik, Popstar, Pop-Art und Popkultur zeigten ebenfalls zuverlässig die Faszination des Phänomens an. Die beiden letzten Begriffe standen zudem dafür ein, dass Pop andere Meriten erlangen konnte, als allein aufgrund weiter Verbreitung und wirtschaftlicher Profite in der kulturellen Sphäre üblicherweise zu erzielen sind.
Zweifellos ist das ein Erfolg all jener, die seit den 1950er Jahren für eine kulturelle Anerkennung von Pop gestritten haben. Ein großer Teil des allgemeinen Redens über Pop bestand genau darin, diese Anerkennung zu betreiben und zu begründen. Das geschah auf zwei Arten und Weisen: Erstens indem man dekretierte, dass Flüchtigkeit, Oberflächlichkeit, Eingängigkeit, Künstlichkeit positive (und nicht, wie zuvor üblicherweise angenommen, negative) Eigenschaften seien. Die Umwertung war nicht selten mit dem typisch modernen Argument verbunden, Pop sei zeitgemäß: Die platonische Kunstauffassung sei veraltet, an ihre Stelle müsse in der schnelllebigen Gegenwart eine Ästhetik des Flüchtigen treten; die Abwertung des Äußerlichen zugunsten des Wesens oder innerlicher Tiefe sei einer nachmetaphysischen, unchristlichen Zeit unangemessen, etc.
Die zweite Verteidigung oder gar Affirmation von Pop setzte wissenschaftlicher an, in empirischen Studien wie in theoretischen Grundsatzdebatten. Hier ging es vor allem um den Nach-weis, dass Pop-Phänomene nicht bloß (oder sogar wenig) zur Passivität, Verrohung, Verdummung, Stereotypenbildung, Standardisierung beitragen. Von liberalen Systemtheoretikern und Rezeptionsästheten über wohlmeinende Pädagogen bis hin zu sozialistischen oder radikaldemokratischen Vertretern der Cultural Studies haben sich viele Richtungen dabei hervorgetan.
Den Erfolg dieser Bemühungen haben aber längst nicht alle derjenigen, die ihn angestrebt ha-ben, schätzen gelernt. Pop ist ein Ausdruck, der längst nicht mehr so häufig und vor allem mit so positivem Ton gebraucht wird wie noch in den 1990er Jahren. Gerade jene Publizisten, Studenten, Akademiker, die vermeintlich subversive oder gesellschaftskritische Absichten he-gen, sind heute eher geneigt, experimentelle Künstler mit ihren Hoffnungen auszustatten und nicht hedonistische Popstars.
Aber auch im größeren Feld der Kultur und des Journalismus kann man eine ähnliche Zurück-haltung beim Begriffsgebrauch beobachten, wenn auch hier ohne die kritische Spitze. Obwohl bestimmte Pop-Phänomene inzwischen zum prägenden Bestandteil des Geschmackshaushalts fast aller Kulturinteressierten mit Universitätsabschluss gehören, hat das Pop-Wort seinen guten Klang, seinen ›Hip‹-Status unter ihnen merklich verloren.
Dafür gibt es zwei nachvollziehbare Gründe:
- Ähnlich wie im Jazz seit Ende der 1960er Jahre sind in der Popmusik nach Hip-Hop und Techno die Möglichkeiten einschneidender Neuerungen erschöpft, übrig bleiben auf der Seite der Innovation stilistische Verfeinerungen (u.a. dank technologischer Weiterentwicklungen) und vor allem Genre-Neukombinationen; Gleiches gilt für Pop-Art und Popliteratur. Die Klage über eine postmoderne Erschöpfung der Bestände ge-hört darum zum festen Bestandteil heutiger feuilletonistischer Pop-Kritik.
- die linke bzw. radikaldemokratische Auffassung, die Pop als Ausdruck oder Werkzeug von Subkulturen ansieht, die zwar nicht politisch organisiert sind, aber durch ihren He-donismus und ihre eigenständige Aneignung kulturindustrieller Erzeugnisse der herr-schenden Ordnung alltäglichen Widerstand entgegensetzen, hat angesichts der Offen-heit liberal-westlicher Gesellschaften viel an Überzeugungskraft verloren. Die Subversions-Hoffnungen der ‚cultural left‘ haben sich darum oftmals verkehrt, nun dominiert (wieder) die ältere Kulturindustrie-Kritik und eine neuere Kritik am flexiblen Differenz-Kapitalismus.
Die geplante Tagung möchte sich diese Einschätzungen zunutze machen – nicht um sie zu re-produzieren oder in jedem Fall zu widerlegen bzw. zu bestätigen, sondern um mit ihnen als Anregung die gegenwärtige Situation zu beleuchten. Auch unabhängig von den ästhetischen und politischen Werturteilen stellt sich die Frage, ob sich innerhalb der Popkultur in den letzten vier Jahrzehnten und vor allem seit der flächendeckenden Durchsetzung des Internets und der sozialen Netzwerke tiefgreifende Änderungen vollzogen haben, die von einem Ende des Pop-Paradigmas künden.
Zwei Untersuchungsrichtungen sollen darum eingeschlagen werden:
- erstens soll teils rekonstruiert, teils neu gefasst werden, was sinnvollerweise unter ‚Pop‘ (in Abgrenzung zu ‚Populär‘- und ‚Massenkultur‘) verstanden worden ist oder noch immer werden könnte;
- zweitens sollen in den Bereichen der Kulturindustrie, der Mode und der Kunst durch grundlegende Analysen historische Unterschiede vor allem zwischen der Popkultur der 1960/70er Jahre und gegenwärtigen Formationen, die sie modifiziert oder möglicher-weise hinter sich gelassen haben, herausgearbeitet werden.
Das Forschungsgespräch soll damit im Geiste des integrativen Ansatzes der HSG zur Klärung der aktuellen kulturellen Voraussetzungen des Wirtschaftens in einer globalisierten und ver-netzten Welt beitragen. Sowohl die Relevanz eines breiten Absatzmarktes/Kundenstamms als auch der nötige Distinktionsgewinn selbst bei Massenwaren stellen Anforderungen dar, die sich in der kulturellen Logik der Debatten um Pop spiegeln lassen. So können im Forschungs-gespräch zwischen den eingeladenen Gästen auch Perspektiven aufscheinen, die potenziell vernetzungsoffen für die Kernfächer und interessant für das breitere Publikum sind, das ja nicht zuletzt auch (mündiger) Kunde und (informierter) User ist (oder sein will/soll).
Language
German
HSG Classification
contribution to scientific community
Event Title
After Pop? Massen, Medien, Konsum im 21. Jahrhundert
Event Location
Universität St.Gallen
Event Date
14.4.2016
Official URL
Subject(s)
Division(s)
Eprints ID
268881